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.Wenn der Schöp-fung meine Gegenwart fehlte, glitt sie579/1746in dumpfen Schlummer zurück; indemich sie weckte, oblag ich meinen hei-ligsten Pflichten, während die Erwach-senen die Pläne Gottes verrieten.Sobald ich morgens die weißen Gatterhinter mir gelassen hatte, um mich insWaldesdickicht zu flüchten, rief ermich ganz persönlich an.Er sah michwohlgefällig die Welt betrachten, dieer geschaffen hatte, auf dass ich sieerschaue.Selbst wenn mich Hunger peinigte,wenn ich vom Lesen und Grübelnmüde war, widerstrebte es mir, michin den abgesperrten Raum und dieverknöcherte Zeit der Erwachsenen580/1746zurückzubegeben und in sie ein-zuordnen.Eines Abends vergaß ichOrt und Stunde.Es war in La Grillère.Ich hatte lange, am Ufer eines Teichessitzend, eine Geschichte des hl.Fran-ziskus von Assisi gelesen: Als es däm-mrig wurde, hatte ich das Buchzugeklappt; im Grase liegend, be-trachtete ich den Mond; er glänzteüber einem vom ersten Tau der Nachtbetränten Umbrien: Die Süße derStunde überwältigte mich.Ich hättesie in all ihrer Flüchtigkeit festhalten,sie mit Worten für immer aufs Papierbannen mögen; es wird andere Stun-den geben, sagte ich mir, und ich581/1746werde lernen, wie man sie festhaltenkann.Ich blieb auf dem Boden liegen,den Blick unbeweglich zum Himmelgewandt.Als ich die Tür des Billardzi-mmers öffnete, hatten sie drinnenbereits fast fertig zur Nacht gegessen.Es gab einen riesengroßen Krach, andem auch Papa sich stimmstarkbeteiligte.Mama verfügte als Gegen-maßnahme, ich dürfe am nächsten Tagkeinen Fuß aus dem Park hinausset-zen.Einfach ungehorsam zu seinwagte ich freilich nicht.Ich verbrachteden Tag damit, auf dem Rasen zusitzen oder, ein Buch in der Hand undZorn im Herzen, in den Alleen582/1746spazieren zu gehen.Da drüben schlugdas Wasser im Teiche Wellen und glät-tete sich wieder ohne mich, ohne einenZeugen; es war unerträglich.9 Wenn esnoch regnete: , sagte ich mir, 9 wennein wirklicher Grund bestände, würdeich es ertragen.: So fand ich in unver-änderter Form die Revolte in mirwieder vor, die früher schon in mirwütete; ein beiläufig hingeworfenesWort genügte, mich um eine Freude,eine Erfüllung zu bringen; dieseBeraubung der Welt und meiner selbstaber war für nichts und für niemandennützlich.Glücklicherweise wiederholtediese Zwangsmaßnahme sich nicht.583/1746Alles in allem verfügte ich, wofern ichpünktlich zu den Mahlzeiten erschien,frei über meine Tage.Meine Ferien bewahrten mich dav-or, die Freuden der Betrachtung mitLangeweile zu verwechseln.In Paris,in den Museen, kam es vor, dass ichmich selbst betrog; aber ich kanntedoch den Unterschied zwischenerzwungener Bewunderung undaufrichtiger Ergriffenheit.Ich lernteauch, dass man, um in das Geheimnisder Dinge einzudringen, sich ihnen zu-vor hingeben muss.Im Allgemeinentrug meine Neugier die Züge der Gierschlechthin; ich glaubte schon zu584/1746besitzen, was ich nur kannte, und esbereits beim bloßen Überfliegen zukennen.Um aber ein Eckchen derLandschaft mir wirklich zu eigen zumachen, streifte ich Tag für Tag durchdie Hohlwege hin und stand stunden-lang unbeweglich am Fuße einesBaumes: Dann rührte wirklich jedeSchwingung der Luft, jede Nuance desHerbstes mich an.Ich fand mich schlecht damit ab,wieder in Paris zu sein.Ich setzte michauf den Balkon: Überall sah ich nurDächer; der Himmel war nichts weiterals ein geometrischer Ort, die Luft warnicht mehr Duft und Schmeichelei,585/1746sondern wurde eins mit dem leerenRaum.Die Geräusche der Straßesprachen nicht zu mir.Mit leeremHerzen und tränenfeuchten Augen saßich da.In Paris geriet ich wieder unter dieMacht der Erwachsenen.Auch weiter-hin fand ich mich ohne Kritik mit ihrerWeitsicht ab.Man kann sich keine Un-terweisung vorstellen, die sektier-erischer wäre als die, welche ich er-hielt.Nachschlagewerke für den Un-terricht, Bücher, Lehrstunden, Unter-haltungen, alles diente dem gleichenZiel.Niemals ließ man mich auch nur586/1746von ferne oder ganz gedämpft einenanderen Ton vernehmen.Ich lernte Geschichte ebenso gefü-gig wie Geographie, ohne zu ahnen,dass sie etwas war, was mehr Anlasszu Diskussionen bot.Als ich noch ganzklein war, fühlte ich mich im MuséeGrévin tief ergriffen angesichts derden Löwen ausgelieferten Märtyreroder beim Anblick der edlen Gestaltvon Marie-Antoinette.Die Kaiser, diedie Christen verfolgt hatten, diestrickenden Frauen und die Sansculot-ten kamen mir wie die abscheulichstenVerkörperungen des Bösen vor.DasGute war die Kirche und Frankreich.587/1746In der Schule lernte ich Einzelheitenüber Päpste und Konzilien; weit mehraber interessierte ich mich für dieGeschicke meines eigenen Landes;seine Vergangenheit, seine Gegen-wart, seine Zukunft gaben zu Hauseden Stoff für zahlreiche Gespräche ab;Papa las mit Entzücken die Werke vonMadelin, Lenôtre oder Funck-Brentano; man gab mir viele histor-ische Romane und Erzählungen sowiedie ganze, von Madame Carettegereinigte Memoirenliteratur zu lesen.Gegen mein neuntes Jahr hin hatte ichüber das Unglück Ludwigs XVII.undden Heroismus der Chouans geweint.588/1746Frühzeitig jedoch verzichtete ich aufdie Monarchie; ich fand es sinnlos,dass die Macht von der Erblichkeit ab-hängen und meistenteils Dummköpfenzufallen sollte.Es kam mir normalervor, dass man die Herrschaft den kom-petentesten Leuten anvertraute.Beiuns, das wusste ich, war das leidernicht der Fall.Ein Fluch verdammteuns dazu, als leitende Männer stetsnur Lumpen zu haben; daher nahmdenn auch Frankreich, obwohl es we-sensmäßig allen anderen Nationenüberlegen war, in der Welt nicht dieStelle ein, die ihm eigentlich zukam.Manche von Papas Freunden589/1746verfochten gegen ihn, man habe inEngland und nicht in Deutschland un-seren Erbfeind zu sehen; aber ihre Un-stimmigkeiten gingen nie sehr weit.Sie einigten sich darauf, dass imGrunde jegliches Ausland in seiner Ex-istenz lächerlich und gefährlich sei
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